
Schobers-Rock-Kolumne: Der Sommer war ja wettertechnisch eher durchwachsen, gucken wir mal, was der Herbst so in musikalischer Hinsicht zu bieten hat

Schobers-Rock-Kolumne: Der Sommer war ja wettertechnisch eher durchwachsen, gucken wir mal, was der Herbst so in musikalischer Hinsicht zu bieten hat
Wie Herbstlaub!
Zarte, sepiafarbene Töne erklingen zum Herbstanfang. Sie stammen von der britischen Folk-Ikone Kathryn Williams und stammen von ihrem bereits 15. Album, „Mystery Park” (Bertus). Die Multitasking-Künstlerin -auch das wunderschöne Cover-Artwork stammt von ihr- ist bekannt für ihr poetisches Songwriting. Es lädt den Zuhörer ein, zu entschleunigen, sich auf die stillen Offenbarungen des Lebens einzulassen, das genau beobachtet, voll gelebt und mit Anmut und Großzügigkeit in Liedern wiedergegeben wird.

All diese sanft hingezauberten Lieder sind Folk-Pretiosen, ganz liebevoll und angenehm unprätentiös von Kollegen wie Leo Abrahams (Gitarre, Klavier, Bass, Gesang), Neill MacColl (Gitarre, Gesang), Polly Paulusma (Gitarre, Gesang), Chris Vatalaro (Schlagzeug), Ed Harcourt (Klavier, Mariachi-Bass, Gesang), David Ford (Mundharmonika) und Paul Weller (Hammondorgel, Gesang) in Szene gesetzt. Diese Platte ist so herrlich unspektakulär und der perfekte Gegenentwurf zu unserer effekthaschenden und rastlosen Zeit, dass sie hoffentlich nicht überhört werden wird! Kann man zwischen Joni Mitchell`s Meisterwerken „Blue“ und „For The Roses“ einordnen.
Skandinavische Tasten-Variationen
Und auch wenn diese Klänge nicht sonderlich verhalten sind, ruhig und fließend sind sie allemal. Joel Danell aka Sven Wunder stammt aus Schweden, ist gelernter Pianist und zudem ein sehr versierter Komponist, der ein Faible für alles Exotische das östlich von Wien liegt hat. Das reicht dann von osteuropäischer Folklore bis nach Japan.
Diverses Instrumentarium aus diesen Regionen der Welt(-Musik) ergänzt dann seinen orchestralen Sound aus Flöten, Percussion, Blechbläsern und Streichern. „Daybreak“ (Piano Piano Records) badet in Easy Listening- und Jazz-Pop-Arrangements von cineastischer Größe. Manchmal mag das etwas beliebig nach Fahrstuhl-Muzark klingen, Songs wie „Still Moorings“, mit Querflöte, Besen-Schlagwerk, Geigen, Vibraphon und Glockenklang haben aber schon eine unwiderstehliche Grandezza.
Queere Popkost zum Tanzen
So, genug der kontemplativen und smoothen Klänge, hier kommt Molly Grace aus Nashville. Die trägt keinen Cowboyhut, dafür viel zu kurze Röckchen für ihre Rubensfigur, aber warum auch nicht, heißt es doch queer zu sein und Aufmerksamkeit zu generieren. Auf ihrem von Keith Sorrells & Oscar Linnander (The Orphanage) und mit Co-Writings von u.a. Wrabel, Julie Frost und GAIA aufgehübschten Debüt, „Blush“ (Nettwerk) erzählt sie von Intimität, Sehnsucht, Empowerment – und davon, wie gut sich Pop anfühlen kann.
Bis auf wenige Bedroom-Balladen ist das reine Tanzflächen-Mucke, die sich ein wenig bei alten Funk- und Soulgrößen wie Earth, Wind & Fire, Stevie Wonder, den Temptations aber auch Prince bedient und damit Fans von Lizzo, Chappell Roan, Lawrence, Reneé Rapp, Remi Wolf bis hin zu Taylor Swift ansprechen dürfte. Macht sie richtig gut, diesen nicht allzu glatt produzierten Pop zum Anfassen und vor allem Mittanzen. Respekt.
Junge Knochen mit viel Pop-Appeal
Ein Tänzchen wagen kann der geneigte Ausdruckstänzer sicherlich auch bei der Züricher Singer/Songwriterin Mel D. Die singt sonst für und mit Faber, hat aber jetzt ihr Solo-Debüt „Young Bones“ (Two Gentlemen) veröffentlicht. „Junge Knochen“….? Könnte auf ihr juveniles Alter anspielen, ihre Songs handeln jedenfalls von Fürsorge, Zusammenhalt, Menschlichkeit, Miteinander und Empowerment, verstehen es, Wut, Trauer und Misstrauen in etwas Positives zu verwandeln.
Das musikalische Rüstzeug dazu ist vielfältig und reicht von Barock-Pop über Jazz bis zu elektronischen Ausflügen. Durch das minimalistische „Changing“ geistert eine sehnsüchtige Geige zum stoisch-digitalen Klick-Klack-Rhythmus-Gerät, „Bring The Witches Back“ ist der Soundtrack zu Neil Stephensons Buch, “Der Aufstieg und Fall des D.O.D.O“, das Duett mit Mit-Produzent Dino Brandão, „We Win“ -ansonsten hat sich die Künstlerin Renaud Letang (Feist, Chilly Gonzales, Lianne La Havas) anvertraut- ist ein feiner wie simpler Folk-Pop-Ohrwurm-Reigen, „Where Do You Look When It Hurts“ dagegen eine zerbrechlich-fragile, akustische Innenschau. Man kann sich in diese Songs hineindenken und es fällt nicht all zu schwer, sich in diese leicht melancholische Stimme zu verlieben.
Feingeistiger Folk-Pop mit Tiefgang
Einige werden bereits verliebt in den Mezzosopran von Narissa Nadler sein, denn „New Radiations“ (Bella Union) ist immerhin schon ihr 11. Album. Außerdem schätzt man an der Singer/Songwriterin aus Massachusetts auch ihr filigranes Fingerpicking. Textlich wandelt sie sich durch Zeit und Raum und schlüpft in die Rollen von Figuren in einer fliegenden Cessna, einem Raumschiff, einem Fluchtauto und alternativen Dimensionen. Ihre Erzählkunst ist filmisch angelegt und wirkt zutiefst persönlich. Im Opener ist sie eine Pilotin, die sich mit der Akzeptanz abgefunden hat: “I will fly around the world just to forget you. Try not to hit the mountains as I pass through. Blinded by sandstorms, no sight of the land below. My little Cessna’s due west, and I had to go.”
Im Titelsong singt sie: “Psychic vibrations and new radiations have taken their toll on me”, ein Gefühl, das ebenso aktuell wie eindringlich ist, während sie versucht, “break the glass, tie up the ending of the scene”. Im schwindelerregenden „Bad Dreams Summertime“ bereitet sie sich auf den Aufprall vor, während die Welt zusammenbricht, und malt nächtliche Schrecken in lebhaften Details. Dazu gibt es analoge Synthesizer, Lap-Steel, Orgel, Everly Brother-hafte Vokal-Harmonien -aber auch dunkel-bedrohliche Distortion-Gitarren. Ein elfenhafter Klon aus Tom Waits, Patti Smith, Joni Mitchell und Leonard Cohen.
Lebe Dein Leben!
Wir beschließen diese Ausgabe mit dem Statement einer noch sehr jungen, aber auch sehr gescheiten Künstlerin aus den niederen Landen. Philine sagt über ihr neues Album, „Wenn du das hier hörst, hoffe ich, dass es dich ermutigt, im Moment zu bleiben und zu fühlen, was es zu fühlen gibt“, sagt sie. „Vielleicht gibt es dir den Mut, das zu tun, was du tun musst – und einfach zu leben. Versuch, der Realität mit offenen Augen zu begegnen, und weiche ihr nicht aus, nur weil sie manchmal unangenehm ist. Denk daran: Alles, was nach unten geht, wird auch wieder nach oben gehen. Und umgekehrt – alles, was aufsteigt, wird auch wieder fallen. Das ist der Deal, den wir mit dem Leben gemacht haben. In der Zwischenzeit kannst du nur eines tun: das Leben erfahren. Und das ist nicht nur eine Botschaft an meine Zuhörer*innen, sondern auch eine an mich selbst.“ Zugegeben, ist jetzt nicht so ganz neu, aber die Botschaft, „Lebe Dein Leben und zwar jetzt“ kann nicht oft genug verbreitet werden. Wenn es dann noch mit einer süßen Stimme und flottem Indie-Pop geschieht, umso besser. Ach ja, „The Truth Of Living“ (Nettwerk) heißt die Scheibe folgerichtig.