No-Go war nie sein Programm: Nachruf auf Chefredakteur a.D. Norbert Gottlöber
No-Go war nie sein Programm: Nachruf auf Chefredakteur a.D. Norbert Gottlöber
Norbert Gottlöber war kein Nein-Sager, keiner, der sich hinter Routinen versteckte oder sich in seinem Chefredakteurszimmer verbarrikadierte. Er war einer, der anpackte, oft zu viel, manchmal unbequem, meistens produktiv – und fast immer mit diesem verschmitzten Understatement, das nur Menschen besitzen, die genau wissen, was sie können.
Und darüber hat er sich gerne ausgetauscht. Nicht nur mit Journalisten, sondern mit allen Mitarbeitern im Haus, mit Besuchern, Lesern, Kunden und allen, die gerne einen Ratsch pflegten. Ein Meister des freundlichen Smalltalks – am liebsten bei einer Zigarette vor dem Verlagshaus. Als er bei Oberpfalz-Medien auftauchte, wehte ein Hauch Münchner Redaktionsluft durch die Weidener Gänge. Skepsis inklusive.
Ein Metropolit im hemdsärmeligen Oberpfälzer Textuniversum. Das konnte ja spannend werden. Wurde es auch. Die Zusammenarbeit war nicht immer konfliktfrei – man konnte sich an ihm reiben. Aber er war nicht nachtragend. Und konnte eigene Fehleinschätzungen revidieren. Da zeigte er Größe. Keine Selbstverständlichkeit im redaktionellen Alltag.

Kampfansage an Leseschwäche
Neustadt/WN/Weiden. Die Nordoberpfalz nimmt sich das Ergebnis der neusten Pisa-Studie zu Herzen, will dagegen vorgehen und Lesespaß fördern. Die neueste PISA-Studie hat es wieder bestätigt: In Deutschland kann fast jeder fünfte Schüler nur rudimentär lesen. Nicht nur, aber auch wegen der Leseschwäche vieler Schülerinnen und Schüler titelte die Presse vom „Kartell der Mittelmäßigkeit“ (Cicero) und sah „Anlass für Alarm“ (Die Zeit), da „Deutschland so schlecht wie lange nicht“ (tagesschau) abgeschnitten hat. Ein Lösungsvorschlag: „Lesen muss geübt werden“ (FAZ). Das nehmen sich sowohl der Landkreis Neustadt/WN als auch die Stadt Weiden zu Herzen und bauen gemeinsam mit Partnern aus Schule, Bibliothek, […]
Er schlug Wurzeln in Weiden
Gottlöber stellte die Weichen für die postdigitale Ära. Neue Desk-Strukturen, integrierte Online-Redaktion, Relaunch, Nachwuchsarbeit – die Liste seiner Baustellen war lang, die Ergebnisse solide. Selbst Ironiker wie Thomas Amann, erfahrener Betriebsrat, konnten sich eines Lobs nicht erwehren: „Gottlob, Gottlöber, dass er da war.“
Dass einer wie er – seit jeher urban sozialisiert – in Weiden Wurzeln schlagen wollte, erzählte viel über seine Fähigkeit, Menschen ernst zu nehmen. So ernst, dass er sich vom Vorgesetzten zum überzeugten Kämpfer für Mitarbeiterrechte wandelte. Es war der Beginn jener Phase, in der aus professioneller Reibung Freundschaft entstand.

Tageszeitung: Papierschlacht im digitalen Wandel
Weiden. Hinter die Kulissen der Zeitungsproduktion zu schauen, das war das eine, was die Wirtschaftsjunioren Nordoberpfalz interessierte. Genauso wichtig aber war die Frage nach der Zukunft der Zeitung in einer Zeit, in der immer mehr junge Leser abspringen. Das diskutierten sie mit dem Chefredakteur vom „Neuen Tag“. Von Alexandra Buba Die bloßen Zahlen beeindrucken: Ein etliche Millionen teurer, gigantischer Druckmaschinenkoloss spuckt zwölf fertige Zeitungen in der Sekunde aus, 40 Stundenkilometer schnell laufen dafür die Walzen, in nur zweieinhalb Stunden werden knapp 86.000 Ausgaben produziert, 20 Tonnen Papier gehen dabei von der Rolle; 75 Fahrzeuge warten Nacht für Nacht an der Rampe […]
Der Mensch hinter dem Manager
So engagiert er journalistisch war, so selbstverständlich war sein Einsatz jenseits der Branche. Beim Münchner Merkur arbeitete er – lange vor dem Begriff „Corporate Social Responsibility“ – als Verbindungsmann zwischen Presse und Menschenseele. Nach seinem Ausstieg kümmerte er sich um die Tafel, später in Weiden um Menschen mit Leseschwäche. Kein Scheinwerfer, keine PR, kein Schulterklopfen. Es war einfach Norbert: der Blick für die, die nicht im Licht stehen.
Und dann kam der Schlag, der alles veränderte. Der gemeinsame Ruhestand war geplant, die Wohnung in Weiden ausgesucht, das neue Leben bereitgestellt wie ein unbeschriebenes Blatt. Doch nach dem schweren Schlaganfall seiner Frau Elke wurde die Rollenverteilung radikal neu geschrieben: Norbert als Pfleger, Tröster, Navigator im Unplanbaren. Wer ihn in dieser Zeit erlebte, sah einen Mann, der Verantwortung nicht als Last verstand, sondern als Treue. Seine letzten Worte im Klinikum Weiden:
Mir tut es so leid um Elke, ich hätte mich gerne noch weiter um sie gekümmert.
Norbert Gottlöber
Der Denker, der Analytiker – und Zweitliga-Romantiker
Als Redakteur war er präzise, oft streng, selten unfair. Sobald der erste Zorn verraucht war, begann sein Verstand zu arbeiten: Vielleicht hat der andere nicht ganz unrecht? Als Chefredakteur ein Möglichmacher, der wusste, dass lokale Kommunikation ohne lokale Verwurzelung zum Papierschiff wird. Sein journalistisches Ethos war altmodisch im besten Sinne: Fakten, Fairness, Öffentlichkeit. Edmund Stoiber nannte ihn einmal das „Musterbeispiel eines hervorragenden Journalisten“. Das war nicht übertrieben.
Und dann war da noch der VfL Osnabrück, sein bockiger, stolzer Herzensverein. Wer ihn darüber reden hörte, lernte viel über Loyalität – und über die Fähigkeit, sportliche Tragödien mit journalistischer Ironie zu entschärfen. Vor allem im Pingpong mit einem Jahn-Fan, der ähnliche Höhen und Tiefen durchlitt.
Der überraschend frühe Abschied
Die Nachricht von seinem Tod wirkt surreal. Vor allem nach dem tragischen Unfalltod seines Vorgängers Clemens Fütterer. „Nicht schon wieder“, denkt man bestürzt, zumal das letzte Bier, das bereits vorbestellt war, noch nicht gezapft ist. Einer wie er – immer in Bewegung, immer unterwegs, immer mit einem Satz im Kopf – sollte doch weiterziehen. Wieder Projekte sortieren, Debatten ordnen, jungen Kolleginnen und Kollegen den Rücken stärken. Dieses Mal wird er nicht weitermachen.
Er hinterlässt Spuren: in Redaktionen, in Vereinen, in Herzen. Nicht als Denkmal, sondern als Mahnung, Journalismus als Haltung zu begreifen, Redakteure nicht zu Schreibtischtäter zu degradieren und Menschsein nicht zum Hobby zu erklären.
Wir werden ihn vermissen: den engagierten Journalisten, den sozial denkenden Menschen, den späteren Freund – und den Großstädter, der sich in der Oberpfalz heimisch gearbeitet hat.
No-Go?
Nein.
Norbert Gottlöber war ein klares: Go.




