Spaziergang mit der Äbtissin (2): Kindheit, Berufung und das Wunder von St. Josef
Spaziergang mit der Äbtissin (2): Kindheit, Berufung und das Wunder von St. Josef
Eine Kindheit am Stadtrand von Augsburg, prägende Momente bei der tiefgläubigen Großmutter: Nicht nur die Wege des Herrn sind unergründlich, auch die Lebenslinie von Agathe Fech mäandert. Als junge Frau tritt sie mit 21 Jahren in die Zisterzienserinnenabtei Lichtenthal ein, wo sie den Ordensnamen Laetitia annimmt, „weil GOTT sie gefunden hat, in den ich mich verliebte und ein Leben lang für IHN leben wollte“.
Die Profess legt sie am 25. März 1980 ab. Seit 1994 lebt die Wahloberpfälzerin mit schwäbischem Immigrationshintergrund im Kloster Waldsassen, wo sie am 26. August 1995 zur Äbtissin gewählt wird. Am 3. Oktober 1995 empfängt sie durch den damaligen Regensburger Bischof Manfred Müller und den Generalabt des Zisterzienserordens, Maurus Esteva, die Benediktion – die Äbtissinnenweihe.
Eine fromme Fügung? Eine steile Karriere? Im Café des Gästehauses erzählt M. Laetitia Fech OCist von ihrer Kindheit, ihrer Berufung und einer wundersamen Fügung, die den Bau des Gästehauses St. Josef möglich machte. Weil es ihr gelingt, die Funktionsfähigkeit von Kloster, Schule und allgemein zugänglichen Bereichen unter Berücksichtigung des Denkmalschutzes zu erhalten, wird ihr unter anderem die Denkmalschutzmedaille und der Artouro-Preis verliehen – für gelungenes Sanieren eines Kulturdenkmals von nationaler Bedeutung.
Kindheit zwischen Steppach und Rosenkranz
„Ich hatte eine ganz normale Kindheit“, sagt sie. „Am Stadtrand von Augsburg – genau gesagt: in Steppach, Augsburg-West. Damals war das fast noch wie ein Dorf.“ Der Vater: Altphilologe, Gymnasiallehrer mit Mission. „Er wollte, dass wir Kinder auch Lehrer werden. Ich habe es ihm zuliebe gemacht, aber nie aus Überzeugung.“
Prägender als das Lehramt: die Oma. „Sie war Bauersfrau, mit beiden Füßen auf dem Boden – aber tiefgläubig.“ Der Rosenkranz, der Kirchgang, eine stille Frömmigkeit. „Ich war gern bei ihr, und rückblickend denke ich, dass sie meine geistliche Entwicklung beeinflusst hat. Sie sagte später, ich sei am empfänglichsten gewesen. Damals habe ich das gar nicht so empfunden und war mir dessen nicht bewusst.“
Sechs Schwestern statt sieben Kindern
Eigentlich hat sie andere Pläne: „Ich wollte heiraten und sieben Kinder haben.“ Heute lacht sie über diesen Gedanken. „Ich konnte mir gar nichts anderes vorstellen. Und jetzt bin ich eine von sechs Mitschwestern – also fast geschafft!“ Im Alter von 19 Jahren das Schlüsselerlebnis: Ihre Schulfreundin lädt sie nach Lichtenthal ein, einem Zisterzienserinnenkloster in Baden-Baden. „Sie machte dort zwischen Abi und Studium ein Praktikum – in der Weberei.“
Die klösterliche Welt interessiert Agathe Fech, wie sie damals noch heißt, kaum – dafür umso mehr die Werkstätten. „Ich habe schon immer gern kunsthandwerklich gearbeitet“, sagt sie. „Und als ich ins Kloster aufgenommen wurde, hat die Äbtissin schnell gemerkt, dass ich da begabt bin.“ So begann ihr Weg vom Kunsthandwerk zum Gotteswerk: Stickerei-Gesellin, Meisterprüfung 1987 – sogar mit Goldmedaille.
Von der Stickerei zur Kunst
Die Meisterschaft öffnet neue Türen: „Ich durfte noch Kunst studieren.“ Schnell stellt sich heraus, dass ihr die Akademie zu wenig Orientierung gibt. „In der Akademie hat man sofort angefangen – jeder sollte zeichnen und malen, wie er wollte. Und ich wollte halt das von Grund auf lernen, also einfach auch eine Anleitung bekommen.“ Und wieder tritt zum richtigen Zeitpunkt der richtige Mensch in ihr Leben: Sie lernt Professor Hans Seeger, einen gelernten Schreiner, kennen. „Ich habe ihn zufällig getroffen.“ Er habe zu ihr gesagt: „Schwester, haben Sie sich hier verirrt?“ Nach einem Besuch seiner privaten Kunstschule in München wechselt sie an sein Institut.
Und die lernbegierige Studentin ist begeistert: „Das war genau das, was ich suchte – Handstudien, Körperstudien, Aquarellieren und Ölmalerei – alles klassisch und fundiert.“ Dass sie im vollen Habit und geschlossenem Schleier in der U-Bahn auffällt? Geschenkt. „Man braucht eine gewisse innere Kraft.“ Man kann das, was sie damals bei den Blicken der Passanten empfunden haben mag, vielleicht mit der Lebensrealität muslimischer Frauen vergleichen. „Aber das war damals kein Thema.“
Berufung in der Berufung
Nach ihrer Ausbildung kommt sie zurück nach Lichtenthal – bis sie eine ungewöhnliche Anfrage erreicht: Das Kloster in Waldsassen sucht Unterstützung. „Die Mehrerauer Kongregation fragte, ob eine junge Schwester bereit sei, in Waldsassen zu helfen.“ Der erste Eindruck: „Ich wollte eine Woche dableiben, aber dann habe ich gedacht, ich fahre sofort wieder heim, weil es einfach wie 50 Jahre stehengeblieben auf mich wirkte.“
Und doch: Die Altäbtissin von Seligenthal, Mutter Columba, die als Administratorin nach dem Tod der Äbtissin in Waldsassen aushilft, führt sie durchs Haus. „Im Kreuzgang habe ich gespürt: Du musst hierher. Mein Kopf sagte: Du spinnst – aber mein Herz sagte: Ja, du musst.“ Nach einer Bedenkzeit verstärkt sich dieses Gefühl. „Ich wollte wirklich hierher.“ Sie habe gedacht: „Ich kann mit der Stickerei helfen, vielleicht eine Brücke zur Jugend bauen.“
Überraschende Wahl
Womit sie mitnichten rechnet: Dass sie kurze Zeit später, nach dem Aufbau der Stickerwerkstatt als Meisterbetrieb in Waldsassen, zur Äbtissin gewählt werden sollte – völlig unerwartet. „Ich hätte nie im Traum daran gedacht.“ Die Wahl findet in großer Einmütigkeit statt. Sie sagt heute: „Ja und da kann man nicht ,nein‘ sagen zu so einer einmütigen Wahl.“
Es sei ihr um den Weiterbestand des Klosters gegangen, darum habe sie zugesagt – im Vertrauen auf GOTTES HILFE, gemäß ihrem Wahlspruch: „Die dem HERRN vertrauen schöpfen neue Kraft“ (Jesaja 40,31). Sie habe bereits Verantwortung für das Überleben des Klosters verspürt: „Es war damals halt schon Spitz auf Knopf gestanden. Wie wäre es weitergegangen, wenn ich nein gesagt hätte?“
Politische Türöffnerin
Die vielleicht wichtigste Begegnung in jener Zeit: Sie lernt Monika Hohlmeier, Tochter von Franz Josef Strauß und zu der Zeit Staatssekretärin im Bayerischen Staatsministerium für Unterricht, Kultus, Wissenschaft und Kunst, kennen. „Ich bin im Oktober 1995 geweiht worden, wir haben uns im Dezember getroffen. Und schon beim ersten Gespräch, da hat die Chemie gestimmt von ihr zu mir und umgekehrt.“ Im Januar 1996 habe sie das erste Mal die Abtei Waldsassen besucht, im März 1996 auf Wunsch der Äbtissin den Vorsitz im Freundeskreis des Klosters übernommen.
Gemeinsam organisieren die beiden starken Frauen den ersten Runden Tisch zu den politischen Verhandlungen. „Monika Hohlmeier hat die Türen zur Politik geöffnet“, sagt sie. Danach übernimmt die Äbtissin selbst die Koordination: „Ich habe mir jeweils, pro Bauabschnitt zur ersten Generalsanierung des Klosters seit der Barockzeit, einen Politiker gesucht, der den Hut aufhat.“ Vier Bauabschnitte, weitere Großbaustellen wie das Gästehaus St. Joseph und St. Gertrud für Menschen mit Handycape sowie die Sporthalle: „Es war schon sehr viel Kraft und Energie nötig, immer neu die richtigen Leute, im richtigen Augenblick an einem Tisch zusammenzubringen.“
Pro Bauabschnitt hatten wir bis zu zehn Zuschussgeber. Man kann sich vorstellen, wie bunt das zuging.
Äbtissin Laetitia
Der klösterliche Businessplan
Die wirtschaftliche Kompetenz? Gewachsen aus Erfahrung – und schwäbischem Grundverständnis. „Ich habe ja die Meisterprüfung in Hauswirtschaft gemacht – da lernt man Betriebswirtschaft.“ Dazu die künstlerische Ausbildung als Stickerin, die Kunstschule – alles von oben gefügte Ausbildungen, die sie habe absolvieren dürfen, bevor sie Äbtissin geworden sei. „Ich habe dann baulich unser Kloster gestickt“, sagt Äbtissin Laetitia. Außerdem gäbe es ja noch das familiäre Talent: „Ich komme aus einer Familie, wo alle einen gesunden Menschenverstand haben“, sagt sie schmunzelnd.
Und wie Sie gesagt haben, komme ich aus Schwaben, wo man weiß, wie man mit Geld umgeht.
Äbtissin Laetitia
Sie sei nie eine Einzelkämpferin gewesen. „Ich habe viele Kreise mit verschiedensten Kompetenzen um mich gebildet: geistliche, supervisorische, juristische, wirtschaftliche, bauliche.“ Sie habe dort immer ehrlich gesagt: „Ich kann das nicht allein – ich brauche euch.“ Und doch war da etwas Eigenes: „Der Herrgott hat mir, glaube ich, ein gutes Gespür gegeben für richtig und falsch. Eine hohe Intuition. Und auf die habe ich immer hören können, dafür bin ich echt dankbar.“
Spaziergang mit Äbtissin Laetitia durch Kloster Waldsassen (3): Die Pforte zum Himmel
Gästehaus St. Josef
- Eröffnung: 2008 nach dreijähriger Bauzeit
- Besonderheit: Das Haus ist offen für Menschen aller Konfessionen – mit Meditationsräumen, Seminarräumen, Kapelle und Gästezimmern
- Finanzierung: Das Projekt wurde möglich durch eine anonyme Großspende und viele kleine Beiträge von Förderern – „Ein Wunder“, so Äbtissin Laetitia.


