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DGB-Außenminister a.D. zum 70.: Was macht eigentlich Helmut Fiedler?

Weiden. Vor sechs Jahren verabschiedete sich Helmut Fiedler als „Außenminister des DGB“ nach fast fünf Jahrzehnten im Dienst der Arbeitnehmer in den Vorruhestand. Heute, mit 70, managt er noch immer mehr Vereine und Grenzprojekte als mancher Berufsjugendliche.

DGB-Außenminister a.D. zum 70.: Was macht eigentlich Helmut Fiedler?

DGB-Bezirkschef a.D. Helmut Fiedler zum Kaffeeplausch im Beanery. Foto: Jürgen Herda

Was Helmut Fiedler im Weidener Beanery erzählt, klingt nach einem Drehbuch zwischen Malocher-Mythos und Oberpfälzer Kabarett. „Mein Vater, ein gebürtiger Gelsenkirchener, war Schalker, ich Bayern-Fan – Streit vorprogrammiert“, lacht er. „Er spielte für die Blauen in der fünften Mannschaft, ich bin später wegen Katsche Schwarzenbeck und Sepp Maier zu den Roten übergelaufen.“

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Ein Gewerkschafter und der geldige FC Bayern? Zum einen sollte man nicht vergessen, dass die Roten für ihren jüdischen Präsidenten Kurt Landauer in der NS-Zeit immerhin phasenweise so etwas wie Zivilcourage auf den grünen Rasen brachten – etwa als sie zum Entsetzen der Nazis bei einem Freundschaftsspiel in der Schweiz ihrem vom Regime verfolgten Ex-Boss auf der Tribüne geschlossen applaudierten.

Der Unruheständler

Und bei aller Fantreue hat Fiedler seinen Realitätssinn nicht verloren: „Jeder soll sein Geld verdienen, aber fahr mal nach München – unter einem Hunderter geht gar nix.“ Deshalb engagiert er sich seit 1979 lieber in der Jugendfördergemeinschaft Seugast-Freihung-Kaltenbrunn, gründete sie sogar mit – als Finanzmanager, Organisator, Mentor. „Ich begleite die Jugendarbeit“, sagt er nüchtern. Tatsächlich: Er lebt sie. Fußball bleibt sein Taktgeber, ob Nationalmannschaft oder D-Jugend.

Fiedlers Ruhestand liest sich wie das Wochenprogramm eines hyperaktiven Bezirkssekretärs: Kassenprüfer beim Förderverein Freyung, Kassier im Verein Böhmisch-Bayerische Kommunikation (BoBaKom), Vorsitzender und Projektmanager, EU-Anträge, Gedenkfahrten, Präsidiumssitzungen. „Wir laden im November wieder Schulen nach Flossenbürg ein“, erzählt er. „Zwei Busse aus Tschechien, Aufführungen der Schüler.“ Es sind solche Gesten, die zeigen, dass Fiedler der Brückenbauer bleibt, der er immer war: zwischen Bayern und Böhmen, Jung und Alt, Kapital und Kollektiv.

DGB-Bezirkschef a.D. Helmut Fiedler (rechts) mit seinem damaligen Nachfolger Petr Arnican. Archivfoto: Jürgen Herda

Diplomatie mit Dialekt

Als Fiedler 2019 als DGB-Abteilungsleiter für internationale Beziehungen in den Ruhestand ging, hinterließ er nicht nur ein Netzwerk, sondern eine Haltung: Solidarität endet nicht an der Grenze. 2004 hebt er Eures, ein europaweites Netzwerk, das die Mobilität im Arbeitsmarkt über Grenzen hinweg fördert, in der Region aus der Taufe. Zehn Jahre ist er dessen Präsident und hilft, tschechischen Arbeitnehmern sich in deutschen Betrieben zurechtzufinden – und erklärt deutschen Arbeitgebern, dass Ausbeutung kein Geschäftsmodell ist.

Sein Nachfolger Petr Arnican, selbst Tscheche und Freund, nennt ihn bis heute „den letzten echten Europäer aus der Oberpfalz“. Fiedler selbst sieht’s pragmatischer: „Ich hab‘ einfach erklärt, was Sache ist – auf beiden Seiten.“ Weil die deutsch-tschechischen Arbeitnehmerbeziehungen für den heutigen bayerischen DGB-Boss nicht mehr Chefsache sind, ist Arnican inzwischen zur IG Metall gewechselt, wo er das Amberger Büro betreut.

Bezirkstagung des DGB in Weiden im Vorjahr von Helmut Fiedlers Ruhestand. Archivfoto: Jürgen Herda

Vom roten Schal zum grauen Bart

In der SPD fühlt sich Fiedler noch immer halb zu Hause, halb fremd. „Ich verstehe die jungen Wilden weder bei den Roten noch bei den Schwarzen“, sagt er mit Blick auf den überflüssigen Kleinkrieg um Richterernennungen oder das angedachte Losverfahren beim „freiwilligen“ Wehrdienst. „Streit gehört dazu, aber intern – nicht in der Zeitung.“ Dann kommt der Gewerkschafter in ihm durch: „Wenn Vereinbarungen ständig gebrochen werden, geht’s irgendwann nicht mehr. Der Kampf müsste zwischen Arm und Reich geführt werden, nicht zwischen Jung und Alt.“

Solche Sätze sind kein Nostalgieprogramm, sondern Handlungsanweisung. Fiedler bleibt Realist mit Rückgrat – und mit Humor. „Ich sag’ immer: Der DGB hat verlangt, dass alle Betriebe eine betriebliche Altersversorgung einführen – nur bei sich selbst nicht. Das haben wir dann geändert.“ Und weil vieles in seiner Person gebündelt war – 1998 bis 2018 Betriebsrat im DGB, Gesamtbetriebsrat ab 2000, ab 2005 GBA-Präsidium – sagte er zu seinen Leuten damals gerne ironisch: „Ihr habt einen Chef, zu dem könnt’s gehen und wenn ihr euch beschweren wollt, zu dem ist’s auch nicht weit.“

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Hautnah dem Leben

Dass er das alles noch erzählen kann, ist nicht selbstverständlich. Ein schwarzer Hautkrebs zwang ihn vor sechs Jahren zum Innehalten. „Noch bevor ich das Unterhemd herunten hatte, sagte die Ärztin: Das muss sofort operiert werden.“ Zwei OPs später war klar: Der Körper braucht Ruhe – der Geist nicht.

Seitdem reist er lieber zur Familie ins Ruhrgebiet als zu Sitzungen nach Brüssel, genießt die Runden über Land, besucht alte Freunde – und seine Jugendmannschaften. Heute zwackt ihn manches Zipperlein, weshalb sein schelmisches Grinsen bei einer falschen Bewegung manchmal zur Maske erstarrt: „Ich habe mir einen Muskelfaserriss am Bauch zugezogen“, erklärt Fiedler und wundert sich, wo man sich überall verletzen kann.

Der leise Stolz

Fiedler war nie der Mann für große Gesten, eher für beharrliche Arbeit. Sein Büro war das Europa der kleinen Leute, sein Werkzeug die Sprache der Vernunft. Er hat die nordoberpfälzische Wirtschaft durch Krisen begleitet, Gewerkschaften über Grenzen geführt und gezeigt, dass Solidarität kein Schlagwort ist, sondern eine Lebensform.

Vielleicht ist das der schönste Ruhestand, den ein Gewerkschafter haben kann: einer, der weiter wirkt. Oder, wie Fiedler sagen würde: „Ich bin ausgebucht.“ Und deshalb muss er jetzt auch gleich weiter. „Die Jungs spielen heute.“

Helmut Fiedler in Zahlen und Zitaten

  • 48,5 Jahre in die Rentenversicherung eingezahlt
  • 20 Jahre Vorstandschaft beim SV Freyung, 14 Jahre Kassier beim FC Kaltenbrunn
  • 10 Jahre Präsident des EU-Arbeitsnetzwerks Eures
  • 2002 Mitbegründer von BoBaKom e. V. – Verein für bayerisch-böhmische Kommunikation
  • „Ich verlange von meiner Gewerkschaft kein Geld – nur von den Arbeitgebern überleg ich’s mir.“