
Echo-Interview mit Professor Bierling: Wir sind unglaublich schwach – deshalb kann Trump mit uns so umspringen
Echo-Interview mit Professor Bierling: Wir sind unglaublich schwach – deshalb kann Trump mit uns so umspringen

Herr Professor Bierling, was führt Sie nach Weiherhammer – das Interesse des Global Players BHS Corrugated an stabilen politischen Verhältnissen in den USA?

Bierling: Der eigentliche Grund ist, dass mich meine langjährige Mitarbeiterin Susi Prechtl angefragt hat, nachdem mein neues Buch erschienen ist. Aber auch Ihre Vermutung ist nicht ganz abwegig. Ich bin mit meiner Expertise in ganz Deutschland unterwegs – und politische Stabilität ist für viele Unternehmen ein zentrales Thema.

USA-Experte Professor Bierling in Weiherhammer: King Trump einer Demokratie auf Abruf?
Weiherhammer. 184 Tage nach Trumps Wiederwahl scheint die Welt aus den Fugen – und die amerikanische Demokratie auf einem gefährlichen Pfad. Der Regensburger Politologe Professor Stephan Bierling entwirft bei einer hochkarätigen Veranstaltung der LUCE-Stiftung in Weiherhammer ein düsteres Szenario.
I. Erosion demokratischer Institutionen in den USA
Viele US-Podcaster – von David Pakman bis Meidas Touch – beschreiben Trumps Präsidentschaft als autoritären Umbau des Staates: ICE-Einsätze ohne rechtliche Grundlage, Einschüchterungsklagen gegen Medien, Deep-Fake-Videos wie die angebliche Obama-Verhaftung. Halten Sie das für übertrieben?
Bierling: Das ist zumindest der Versuch Trumps – er hat keine demokratische Faser im Leib. Schon in seiner ersten Amtszeit hat er sich besser mit autoritären Führern verstanden und strebte eine Machtfülle an, die ganz auf ihn zugeschnitten ist.
Max Weber beschreibt diese Form des Regierens als patrimoniale Herrschaft, bei der alles vom Wohlwollen des Patrons abhängt.
Professor Stephan Bierling
Genau dahin will Trump die amerikanische Demokratie führen. Es wird weiter einen Kongress, Gerichte und Medien geben – aber alle sollen ihm dienen, wie einer Spinne in der Mitte des Netzes.
Viele unabhängige Medien berichten über Trumps Gesundheitszustand – von sprachlichen Ausfällen bis zu kosmetisch übertünchten Schwellungen. Hat er noch die Kontrolle?
Bierling: Daran habe ich keinen Zweifel. Er ist die letzte Instanz. Trump lotet die Grenzen aus – und man fragt sich: Gibt es die Checks and Balances überhaupt noch? Er ist im Grunde der am einfachsten zu lesende Politiker überhaupt. Alles basiert auf wenigen Begriffen: Allmachtsfantasien, Selbstglorifizierung, Lust an Rache. Er versteht es besser als alle anderen, mit animalischem Instinkt Aufmerksamkeit zu generieren – bis kein Raum mehr für andere bleibt.
II. Angriff auf die Vierte Gewalt
Was sagt es über den Zustand der Demokratie aus, wenn Millionenklagen zur Einstellung von Sendungen wie der „Late Show with Stephen Colbert“ führen? Ist das nicht die wahre Cancel Culture?
Bierling: Es gibt noch unabhängige Medien. Aber seit dem Moment, als Trump vor zehn Jahren die Rolltreppe im Trump Tower hinunterfuhr, diskreditiert er reflektierte, unparteiische Medien als Fake News. Das zieht sich durch bis heute. CBS, NBC, ABC lassen sich leicht einschüchtern. Sie haben Angst, bei geplanten Fusionen oder Lizenzvergaben benachteiligt zu werden – und zahlen lieber vor Gericht. Dieses Geld fließt dann in die Trump-Library …
… wo auch die Boeing 747-8 aus Katar stehen soll …
Bierling: … richtig. Das ist durchsichtig, aber fast schon genial – es erinnert an einen Mafia-Staat, in dem Gefälligkeiten Gegenleistungen voraussetzen. Erstaunlich ist, wie wenig Rückgrat selbst große Medienunternehmen zeigen – oder Tech-Milliardäre, die sich aus purer Angst beugen.
Wenn eine einzelne Person wichtiger wird als Institutionen, ist das eine der gefährlichsten Entwicklungen für jede Demokratie.
Professor Stephan Bierling
Wir hatten gehofft, dass Richter oder Abgeordnete höheren Prinzipien folgen. Stattdessen drohen ihnen Konsequenzen, wenn sie sich nicht fügen. Wer sich Trump andient, profitiert. Wer sich widersetzt, wird juristisch verfolgt.
III. Die Schattenmacht der „Tech-Bros“
Elon Musk ist laut, Peter Thiel leise. Doch gerade Thiel – mit Palantir, JD Vance und Geheimdienstnähe – scheint tief ins System einzugreifen. Ist er gefährlicher als Musk?
Bierling: Diese Debatte gab es schon, als Musk in Regierungsnähe rückte. Ich war dagegen, das als Oligarchie zu bezeichnen – das ist ein Bild aus Russland unter Jelzin. Trump hat die Kontrolle. Er nutzt Musk, nicht umgekehrt. Es war klar, dass zwei Alpha-Tiere wie Musk und Trump irgendwann kollidieren. Leute wie Peter Thiel oder David Ellison versuchen, im Windschatten von Trump ihre Agenden durchzusetzen – aber nur so lange, wie sie ihm nicht in die Quere kommen.
Das Schlimmste, was man tun kann, ist, Trump zu übertrumpfen.
Prof. Stephan Bierling über Steve Bannon, der vom „heimlichen Präsidenten“ zur Persona non grata wurde
Dasselbe gilt für Musk, als er sich von Trump entfernte. Die anderen – Thiel, Ellison, die Krypto-Szene – agieren vorsichtiger. Ellison will TikTok kaufen. Sie glauben, ihn beeinflussen zu können. Doch seine Aussagen – etwa zur Epstein-Affäre – sind so erratisch, dass selbst die MAGA-Bewegung kaum noch mitkommt.
IV. Epstein-Affäre & Strafverfahren
Die Epstein-Affäre ist auch in rechten Foren ein Aufregerthema – gerät Trump durch sie unter Druck?
Bierling: Ich halte das für Wunschdenken. Bei jedem neuen Skandal glaubten viele: Jetzt ist Schluss. Ob bei den Aussagen über Mexikaner oder den Sturm auf das Kapitol – all das hätte jeden normalen Politiker erledigt. Aber Trump kommt immer zurück. Die Strafverfahren – Schweigegeld für einen Pornostar, Wahlmanipulation in Georgia, Geheimdokumente in Mar-a-Lago – ändern daran nichts. Er ist nicht rational erklärbar.
Er ist der Führer eines Kults, dem viele blind folgen. Max Webers Theorie der patrimonialen Herrschaft passt hier bestens – alles kreist um ihn und seine Familie.
Professor Stephan Bierling
V. Außenpolitischer Isolationismus & europäische Ohnmacht
Wie gefährlich ist Trumps außenpolitischer Kurs – Stichwort NATO-Austritt, Annäherung an Putin?
Bierling: Trump hat jetzt Tag 184 hinter sich – dreieinhalb Jahre bleiben. Er wird seine Bestseller spielen: Zölle, Unberechenbarkeit, Deals. Er kann sich das leisten, denn die USA sind die größte Wirtschaftsmacht. Für deutsche Unternehmen ist der US-Markt zentral – und wir sind in einer ökonomischen Schwächeposition.
Der Freihandel ist politisch tot, auch wegen europäischer Fehler. Wir haben TTIP selbst verhindert, als noch ein Freihändler wie Barack Obama im Amt war.
Professor Stephan Bierling
Ein Umdenken wird es erst bei einer tiefen Krise geben. Doch die Prognosen sind nicht so schlecht: +1,5 % Wachstum 2025, trotz Trumps Eskapaden. Die USA sind erstaunlich resilient – und viel weniger exportabhängig als wir. Deutschlands Export trägt zu 50 Prozent zu unserem BIP bei – in den USA nur zu 10 Prozent.
VI. NATO: Beistand auf Abruf?
Tucker Carlson fordert im Interview mit Paul Ronzheimer, Putins Vormarsch einfach zu akzeptieren – besser als ein Atomkrieg. Wie glaubwürdig ist Artikel 5 des NATO-Vertrags noch?
Bierling: Wir können es nicht laut sagen – das wäre eine Einladung an Putin. Aber die Frage ist real: Würden die USA tatsächlich eingreifen, wenn Estland angegriffen wird? Der Vertrag wurde nicht gekündigt, amerikanische Atomwaffen lagern weiter in Deutschland und es sollen neue nach Großbritannien kommen. Doch die strategische Abschreckung hat gelitten.
Wir sind erschreckend schwach – deshalb kann Trump mit uns so umspringen.
Professor Stephan Bierling
Zwei Bücher, zwei Blicke auf die zerrissenen USA
In „America First – Donald Trump im Weißen Haus“ analysiert Professor Stephan Bierling die erste Amtszeit des 45. US-Präsidenten mit scharfem Blick auf dessen Stil, Strategien und internationale Auswirkungen. Er zeigt, wie Trump zentrale Institutionen des amerikanischen Systems untergrub und dabei auf eine loyale Wählerschaft sowie schwache Kontrollinstanzen zählen konnte. Das Buch erschien 2020, kurz vor der überraschenden Wiederwahl Trumps, und gilt inzwischen als Standardwerk zur politischen Landschaft der USA unter Trump.
Noch tiefer gräbt Bierling in seinem aktuellen Werk „Die Unvereinigten Staaten – Amerika am Scheideweg“ (2025). Hier rückt er die strukturellen Ursachen der tiefen Spaltung in den Fokus: Polarisierung der Parteien, Auflösung des gesamtgesellschaftlichen Konsenses, mediale Fragmentierung und die Erosion demokratischer Prinzipien. Bierling fragt nicht nur, wie es so weit kommen konnte – sondern auch, ob und wie die Vereinigten Staaten jemals wieder zusammenfinden können. Eine ebenso profunde wie ernüchternde Zustandsbeschreibung einer Demokratie im Stresszustand.