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Lesung zur Reichspogromnacht: Erinnerung, die unter die Haut geht

Tirschenreuth. Damit das Erinnern nicht zum Ritual verkommt, schildert Dorothea Woiczechowski-Fried am Montag, 10. November, „Leben und Überleben“ ihres verstorbenen Mannes Alexander Nesanel Meir Avraham Fried – eine Lebensgeschichte, die dem Schrecken Gestalt verleiht.

Lesung zur Reichspogromnacht: Erinnerung, die unter die Haut geht

Schülerinnen und Schüler verschiedener Jahrgangsstufen des Stiftland-Gymnasiums Tirschenreuth produzierten eine besondere Podcast-Folge zum 80. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs. Grafik: Stiftland Gymnasium

Die Odyssee von Alexander Fried, genannt Schani, der die Qualen dreier Konzentrationslager, eines Todesmarsches und einer Flucht aus der stalinistischen ČSSR überlebte und dennoch fast 100 Jahre alt wurde, ist eine Geschichte, die niemanden kaltlässt, der nicht jegliche Empathie verloren hat.

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Eine Lebensgeschichte, die aufgrund der aktuellen Entwicklungen alles andere als reine Vergangenheitsbewältigung ist. In einer Zeit, in der Antisemitismus mit einer erschreckenden Selbstverständlichkeit wieder Teil der politischen Unkultur ist, sollte niemand vergessen, wohin irrationaler Hass führen kann – in die Fänge menschenverachtender Unrechtsstaaten.

In einer Weltlage, in der im Nahen Osten nach dem Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 1200 Menschen getötet und mehr als 250 in den Gazastreifen verschleppt wurden, und der darauffolgende Krieg im Gaza-Streifen zu weiterem Leid führte, ist es existenziell wichtig, für einige Augenblicke innezuhalten und sich zu vergegenwärtigen, dass noch niemals in der Geschichte eine Autokratie zu mehr Gerechtigkeit geführt hat als eine Demokratie mit noch so vielen Mängeln.

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Doppel-Lesung im Stiftland Gymnasium

Am 9. November jährt sich die Reichspogromnacht zum 87. Mal – jener Tag, an dem 1938 in ganz Deutschland die Synagogen brannten und das Fanal zur Vernichtung der europäischen Juden gesetzt wurde. Da dieser Tag heuer auf einen schulfreien Sonntag fällt, hält Dorothea Woiczechowski-Fried ihre beiden Vorträge im Stiftland-Gymnasium Tirschenreuth am Montag, 10. November – um das Gedenken lebendig zu halten und um dem Unfassbaren ein menschliches Gesicht zu geben.

  • Vormittags: Lesung „Leben und Überleben“ für die Schülerinnen und Schüler
  • 19 Uhr: Öffentliche Veranstaltung für die Allgemeinheit

Musikalisch begleitet wird die Lesung von Schülerinnen und Schülern mit Motiven aus Schindlers Liste.

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Ein Vermächtnis der Menschlichkeit

Alexander Fried überlebte, weil er den Hass nicht in sein Herz ließ. „Ihr seid nicht schuld an den Verbrechen eurer Vorfahren“, sagte er in über 300 Vorträgen an deutschen Schulen. „Aber ihr habt die Verantwortung, dass so etwas nie wieder geschieht.“ Dieser kleine, zerbrechliche Mann war ein Riese an Menschlichkeit – ein Kind frommer Ostjuden aus dem ukrainischen Korolevo, das das grausame 20. Jahrhundert überdauerte, ohne zu verbittern.

„Wir wollen mit dir deinen 100. Geburtstag feiern“, habe ich ihn oft geneckt, sobald ihn der wieder erstarkte Antisemitismus bedrückte. Dann lächelte er – und für einen Moment schien es, als könne er tatsächlich unsterblich sein.

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Liebe als letzter Halt

Eine schwere Bronchitis setzte seinem langen Leben schließlich ein stilles Ende. „Er ist ohne Angst gestorben“, sagt Dorothea Woiczechowski-Fried, die ihm in den letzten zwei Jahrzehnten in Tirschenreuth Heimat und Frieden schenkte. „Er ist mit einem Kuss von Gott von uns gegangen.“

Was bleibt, ist die Erinnerung – und die Mahnung, dass Menschlichkeit, Mitgefühl und Verantwortung niemals aus der Zeit fallen dürfen. Gerade heute, in einer Welt, in der Antisemitismus wieder laut wird und der Nahostkonflikt die Wunden neu aufreißt, ist Alexanders Vermächtnis aktueller denn je.

Dorothea Woiczechowski-Fried mit ihrer Freundin und Hundeflüsterin Cornelia Kisser. Foto: Jürgen Herda

Podcast-Projekt des Stiftland-Gymnasiums Tirschenreuth

In Zusammenarbeit mit Dr. Dorothea Woiczechowski-Fried produzierten Schülerinnen und Schüler verschiedener Jahrgangsstufen des Stiftland-Gymnasiums Tirschenreuth eine besondere Podcast-Folge zum 80. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs.

Das Projekt leistete nicht nur einen eindrucksvollen Beitrag zur Erinnerungskultur, sondern bot auch Raum für eine lebhafte Diskussion über die Bedeutung von Demokratie heute – gemeinsam mit den beiden Podcast-Gästen.

Entstanden ist die Episode im Rahmen von SGT-Explorativ, einem schulinternen Förderprogramm zur Förderung individueller Begabungen, unter der Leitung von Matthias Schmidkonz. Zwei der drei Projekttage verbrachte die Schülergruppe in den Räumen der Marketing-Agentur C3, wo sie professionelle Einblicke in Podcast-Produktion und Werbekommunikation erhielten.

Fazit der Schülerinnen und Schüler: „Nie wieder ist jetzt – Nie wieder beginnt mit Dir!“ 🎧 Hier anhören: Podcast des Stiftland-Gymnasiums Tirschenreuth