
Amberg erinnert an Gewerkschafter Lorenz Hagen

Amberg erinnert an Gewerkschafter Lorenz Hagen
Er war die Seele des Wiederaufbaus der Gewerkschaftsbewegung nach der Befreiung von Nationalsozialismus. So beschrieb ein Zeitzeuge die Rolle von Lorenz Hagen. Anlässlich des sechzigsten Todestages erinnerte der SPD Stadtverband Amberg und der ver.di-Ortsverein Amberg an diesen engagierten Gewerkschafter und überzeugten Sozialdemokraten. Lorenz Hagen ist am 23. Juli 1965 – zwei Tage nach seinem 80. Geburtstag – in München gestorben. SPD-Stadtverbandsvorsitzender Dieter Weiß und Mitglied im Vorstand des ver.di-Ortsvereins Amberg berichtete im IG Metall-Haus über das Leben von Lorenz Hagen.

Lebensweg und politisches Engagement
Lorenz Hagen ist in Amberg geboren und in der Langen Gasse mit elf Geschwistern aufgewachsen. Er besuchte die Volksschule für Buben in der Ziegelgasse und absolvierte eine Ausbildung zum Mechaniker. Nach zwei Jahren der Wanderschaft durch Deutschland und Österreich fand er eine Anstellung in den Hercules-Werken in Nürnberg. Nachdem er als einer der Vertrauensmänner des Deutschen Metallarbeiterverbandes zu einem Streik aufgerufen hatte, wurde er fristlos entlassen und auf eine schwarze Liste der Arbeitgeber gesetzt. Anlass des Streikaufrufs war die beabsichtigte Einstellung eines Arbeiters, der in einem anderen Betrieb einen Gewerkschaftler erschossen hatte. Nach einigen Monaten der Arbeitslosigkeit wurde er bei den Siemens-Schuckert-Werken eingestellt.
Trotz seiner ablehnenden Haltung gegen Militarismus und Krieg musste er mit Beginn des ersten Weltkriegs Kriegsdienst ableisten. Er wurde bei den Pionieren an der Front eingesetzt. Trotz vierfacher Verwundungen wurde er erst am 22. Dezember 1918 aus dem Militärdienst entlassen. Gemäß der Demobilisierungsverordnung wurde er wieder bei seinem alten Arbeitgeber eingestellt. Nach der Verabschiedung des Betriebsrätegesetzes wurde er im März 1920 zum Gesamtbetriebsratsvorsitzenden der Siemens-Schuckert-Werke gewählt. In der Folgezeit bestätigten ihn seine Kollegen achtmal in diesem Amt. 1928 wurde er zum geschäftsführenden Vorsitzenden des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbund (ADGB) Ortsauschuss Nürnberg gewählt. Außerdem war er auch Mitglied im Vorstand der Nürnberger und fränkischen SPD.

Widerstand und Entbehrung
Bereits in diesen Jahren wurde das politische Klima immer rauer. Lorenz Hagen schilderte die Situation wie folgt: „Die Nationalsozialisten traten in der Öffentlichkeit immer herausfordernder auf. Die SA störte unsere Gewerkschaftsversammlungen und inszenierte Schlägereien. Wir mussten jeweils vom Reichsbanner Saalschutz anfordern, wenn wir ungestört tagen wollten.“
Dies Situation verschärfte sich als am 30. Januar 1933 die Nationalsozialisten mit Hilfe konservativer Parteien an die Macht kamen. Im März 1933 wurde sein ADGB-Büro und die Büros einiger Einzelgewerkschaften durch die SA zerstört und ausgeraubt. Am 2. Mai 1933 wurden die freien Gewerkschaften im gesamten Reichsgebiet zerschlagen. SS und SA besetzten die Gewerkschaftshäuser. Am 22. Juni 1933 verbot die NS-Regierung der SPD jede politische Tätigkeit und erklärte sie zur staatsfeindlichen Partei.
In den folgenden Jahren wurde Lorenz Hagen mehrfach verhaftet. Dabei wurden ihm verschiedene Delikte vorgeworfen: Agitation gegen die nationale Regierung und illegale Werbung für den verbotenen ADGB und die verbotene SPD, Kenntnis über das Waffenlager des Reichsbanners und die Bewaffnung der Gewerkschaften, Schmuggel von illegalen Schriften aus dem Ausland, Vorbereitung zum Hoch- und Landesverrat, sowie unerlaubte Auslandsbeziehungen. Er wurde aber nie vor einem Gericht angeklagt.
Die Gestapo versuchte ihn auf ihre Seite zu ziehen. Seiner Frau wurde ein Angebot gemacht: „Wenn ihr Mann zu uns kommt, so ist es für uns von größerem Wert als wenn 1.000 Andere kommen. Ihr Mann würde eine Stelle bekommen, in der er das Dreifache von dem verdient, was er je verdient hat.“ Lorenz Hagen blieb seinen Werten treu.
Nachkriegszeit und Engagement für die Gewerkschaft
Am 26. Januar 1938 wurde er erneut verhaftet. Aber diesmal wurde auch seine Frau verhaftet. Eines Morgens wurde er um 5 Uhr früh aus seiner Zelle geholt. Der Gestapo-Mann lügt ihm vor, dass seine Frau Theresia während eines Verhörs zusammengebrochen ist und nun mit dem Tode ringt. Sie hätte noch einen letzten Wunsch bevor sie stirbt. Sie möchte ihren Mann noch einmal sehen. Die Gestapo würde der Sterbenden gerne diesen letzten Herzenswunsch erfüllen. Voraussetzung hierfür sei jedoch, dass er ein umfassendes Geständnis ablegt. „Nachdem ich das ablehnte, ließ er mich wieder in einem seelisch unbeschreiblichen Zustande, in meine Zelle zurückführen.“ Lorenz Hagen schilderte diesen Vorgang in einer Aussage für das Internationale Militärtribunal in Nürnberg.
In Nürnberg war eine Gruppe um den ehemaligen Stadtrat August Meier trotz Verbot der SPD und der Gewerkschaften im ständigen Kontakt. Meier hatte sich frühzeitig die Lizenz für einen Tabakladen gesichert. In diesen Laden in der Bindergasse traf man sich unauffällig und regelmäßig auch mit anderen Widerstandsgruppen um sich auszutauschen. Über den ehemaligen Reichstagsabgeordneten Josef Simon gab es auch Verbindungen zur Widerstandsgruppe des 20. Juli in Berlin. Lorenz Hagen gehörte auch zu den Eingeweihten.
Nürnberg wurde am 20. April 1945 von US-Truppen befreit. Und für Lorenz Hagen endete auch eine sehr schwere Zeit. Acht Hausdurchsuchungen wurden bei ihm durchgeführt. Er war 1.102 Tage in verschiedenen Gefängnissen und Konzentrationslagern eingesperrt. Seine Frau Theresia war insgesamt 14 Monate inhaftiert. Seine Wohnung wurde durch einen Bombenangriff zerstört. Und Nürnberg lag in Schutt und Asche.
Bereits in den ersten Maitagen begann Lorenz Hagen mit anderen treuen Kollegen mit dem Wiederaufbau einer freien Gewerkschaftsbewegung. Einer der ersten Schritte war die Zusammenfassung der örtlichen Gewerkschaftsgruppen im Bezirk Nürnberg. Dabei verstieß er gegen eine Anordnung der amerikanischen Militärregierung, die nur betriebliche Zusammenschlüsse zulassen wollte.
„Ich wurde wiederholt von amerikanischen Offizieren, einmal sogar vom stellvertretenden Gouverneur in München vorgeladen und unter Androhung der Verhaftung aufgefordert, die bestehende gewerkschaftliche Organisation aufzulösen. Ich lehnte das in allen Fällen entschieden ab und erklärte, ich hätte wegen meiner gewerkschaftlichen Betätigung viele Jahre bei den Nazis im Kerker gesessen, ich könne mir nicht denken, dass es bei den Amerikanern schlimmer sein würde.“ So Lorenz Hagen.
Lorenz Hagen war nicht nur für die Gewerkschaft wieder aktiv. Er wurde am 30. Juni 1946 für die SPD in die Verfassunggebenden Landesversammlung gewählt. Bei der ersten Wahl des Bayerischen Landtags in der Nachkriegszeit am 1. Dezember 1946 zog er für Mittelfranken in das Parlament ein.
Letzte Jahre und Vermächtnis
Der Bayerische Gewerkschaftsbund wurde vom 27. bis 29. März 1947 in München gegründet. Unter dem Motto “In der vereinten Kraft muss unsere Stärke liegen” wurde der BGB als Vorläufer des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) in Bayern ins Leben gerufen. Die Delegierten wählten Lorenz Hagen zum Ersten Präsidenten und Vorsitzenden.
In der Zeit vom 12. bis 14. Oktober 1949 fand in München der Gründungskongress des Deutschen Gewerkschaftsbundes statt. Lorenz Hagen lehnte einen Sitz im DGB-Bundesvorstand ab, da er weiterhin in Bayern tätig sein wollte. Nach der Auflösung des Bayerischen Gewerkschaftsbundes wurde er später zum Landesvorsitzenden des DGB-Landesbezirk Bayern gewählt.
1954 verzichtete Lorenz auf eine erneute Kandidatur für den Landtag. Lorenz Hagen hat in seiner Zeit im Landtag die soziale Gesetzgebung für Bayern in den Nachkriegsjahren mitgeprägt. Das bayerische Betriebsrätegesetz, das Urlaubsgesetz und das Arbeitsgerichtsgesetz trugen ganz deutlich seine Handschrift.
Nach Einführung der Montanmitbestimmung wurde er 1953 Aufsichtsrat der Maxhütte. Gemeinsam mit den Betriebsratsvorsitzenden aus Rosenberg und Haidhof Fritz Mertel und Richard Edenhofer, Heinrich Steuernthal für die Angestellten, Johann Paulus für die Grube Auerbach, den bayerischen IG Metall-Vorsitzenden Erwin Essl, und Wolfgang Rüscher als Vorstandsmitglied der gewerkschaftlichen Bank für Arbeit und Wirtschaft vertrat Lorenz Hagen als bayerischer DGB-Vorsitzender die Interessen der Arbeiter im paritätisch besetzen Aufsichtsrat. Die Arbeitgeberseite hatte damit einige Probleme. Differenzen gab es natürlich bei der Abwägung zwischen tarif- und sozialpolitischen Forderungen einerseits und der Rentabilität und Konkurrenzfähigkeit andererseits. Bereits im Jahr 1954 standen die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat der Maxhütte vor einer riesigen Aufgabe. Der Freistaat beabsichtigte den Verkauf seines sechsundzwanzigprozentigen Anteils an der Maxhütte. Sie befürchteten, dass die Maxhütte zum Spielball spekulativer Interessen werden könnte. Sie misstrauten Friedrich Flick, ob er tatsächlich dauerhaft an der Maxhütte festhalten will. Auch viele Kommunalpolitiker kämpften gegen diesen Verkauf. Alle Fraktionen im Landtag, außer der SPD, sprachen sich für einen Verkauf des Anteils an Flick aus. Die Erlöse sollten für die notwendige Infrastruktur verwendet werden. Trotz aller Bedenken beschloss das bayerische Kabinett, das damals aus dem Viererbündnis SPD, FDB, Bayern Partei und BHE gebildet wurde, im April 1955 den Verkauf. Ministerpräsident Hoegner tat dies ohne Einbeziehung der SPD-Fraktion, da er von ihr großen Widerstand erwartet hatte.
Am 31. Dezember 1955 ging Lorenz Hagen mit 70 Jahren in den Ruhestand. Er blieb aber dem DGB als ständiger Berater weiterhin erhalten. Am 23. Juli 1965 – zwei Tage nach seinem 80. Geburtstag – verstarb an den Folgen eines Gehirnschlags.
An allen Stationen seines Lebens hat er immer wie betont, wie prägend seine ersten Lebensjahre in Amberg waren. Zitat Hagen: „Das soziale Elend in unserem eigenen Haus und den Arbeitern unserer Umgebung hat schon sehr früh mein Denken und meinen Werdegang bestimmt.“
In Nürnberg erinnert eine Stele vor dem Karl-Bröger-Haus unter anderem an Lorenz Hagen. Außerdem wurde vor Kurzem eine Straße nach ihm benannt. In München gibt es einen Lorenz-Hagen-Weg. In Amberg, seiner Geburtsstadt, erinnert nichts an ihn.
„Das müssen wir ändern. Lorenz Hagen hat sein ganzes Leben den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern gewidmet. Er hat für soziale Gerechtigkeit, gute Arbeitsbedingungen und gerechte Löhne gekämpft. Während der NS-Diktatur musste er am eigenen Leib erfahren, wie es ist, wenn aus einer Demokratie eine Diktatur wird. Nach der Befreiung hat er als Sozialdemokrat und Gewerkschaftler die Demokratie in Deutschland wieder mit aufgebaut. Demokratie braucht Vorbilder, gerade in unserer Zeit. Und Lorenz Hagen ist so ein Vorbild.“ So SPD-Stadtverbandsvorsitzender Dieter Weiß.