Jahn in Liga 3: Auswärtsfluch in Havelse gebrochen – mit Schweiß, Zittern und Schiri-Glück
Jahn in Liga 3: Auswärtsfluch in Havelse gebrochen – mit Schweiß, Zittern und Schiri-Glück
Wenn deine Mannschaft nach eineinhalb Jahren den ersten Auswärtssieg einfährt, sollte man eigentlich grinsen wie ein Honigkuchenpferd. Nach der Nervenschlacht beim 5000-Einwohner-Ortsteil Havelse der Stadt Garbsen in der Region Hannover müssen sich die Fans trotz frostiger Temperaturen den Schweiß von der Stirn wischen.
Was Zweitliga-Absteiger SSV Jahn Regensburg über lange Phasen des Spiels beim Aufsteiger aus Niedersachsen bietet, ist allenfalls etwas für Fußball-Masochisten – und dabei ist der tiefe Boden nur ein Teil der Wahrheit. Schließlich kennt man sich in Regensburg aus mit Ackerboden statt grüner Wiese.
Wer heute Tiki-Taka wollte, dem muss ich sagen: sorry!
Jahn-Trainer Michael Wimmer
Man versteht den Chefcoach nur zu gut. „Heute ging’s darum, drei Punkte mitzunehmen, mal wieder überm Strich zu stehen“, stellt er erleichtert fest. Dass er mit der Leistung seiner Jungs in Aschgrau nur partiell zufrieden war, dazu schweigt der Gentleman. Seine Stimme hat er vor allem in den letzten 15 Minuten der Abwehrschlacht bereits über Gebühr beansprucht.
„Raus, alle raus!“
„Raus, alle raus“, schreit der Niederbayer immer wieder vergeblich – und das, obwohl er zur Stabilisierung der Defensive auch noch Andi Geipl aufs Feld schickt, mit der klaren Mission, die Mannschaft aus dem selbstverschuldeten Spiel mit dem Feuer herauszupauken. Dabei hat Regensburg in der zweiten Halbzeit das Spiel gegen harmlose Gastgeber weitgehend im Griff.
Doch nach dem Führungstreffer durch den eingewechselten Nicolas Oliveira (66.), der das Spiel nach dem höchst überflüssigen Führungstreffer durch John Xaver Posselt – nach einem rutschigen Patzer von Keeper Felix Gebhardt (16.) – und dem Abstauber von Noel Eichinger – nach einer ebenso verunglückten Abwehr seines Pendants Tom Opitz (29.) und einer spürbaren Ratlosigkeit der verunsicherten Gastgeber – drehen kann, verlässt die Oberpfälzer plötzlich der Mut.
Mit stotterndem Motor über die Ziellinie
Mit unzähligen Fehlpässen, Stockfehlern, ungeschickten Fouls laden die Regensburger den Turn- und Sportverein von 1912 zu einer Schlussoffensive ein – mit viel Übersicht von Keeper Gebhardt, einer fetten Portion Dusel und zwei zugedrückten Augen des gnädigen Schiris überstehen die Gäste die Sturm- und Drangphase und retten sich vorerst über den Strich.
Für Michael Wimmer und das Trainerteam wartet weiter viel Arbeit, wenn aus diesem mühsamen Dreier beim Vorletzten, der es bisher auf gerade mal 4 Punkte gebracht hat, mehr als eine Eintagsfliege werden soll. Gegen die jungen Wilden des VfB Stuttgart am kommenden Samstag, 14 Uhr, müssen die Männer in den dann wieder roten Hosen fußballerisch mächtig zulegen, um nicht wieder in den Keller der Dritten Liga abzurutschen.
Nervenkrieg im Nebel von Niedersachsen
Es ist ein Kellerduell, wie man es sich in seinen schlimmsten Fan-Albträumen ausmalt: tiefer Boden, zweite Bälle, ein zähes Pingpong von Fehlpass zu Fehlpass – und ein gerade mal 1000 Köpfe starkes Publikum, das ahnt, dass es kein Abend für Feingeister werden würde. Nach 16 Minuten knallt John Xaver Posselt die Kugel aus unmöglichem Winkel über Gebhardt und Poldi Wurms Schädel unters Lattenkreuz, weil Felix Gebhardt das seifige Leder nach einer Flanke nicht festhalten kann – 1:0 Havelse.
Die düstere Erinnerung an Osnabrück, Wiesbaden und Ulm geistert durch die Köpfe – aber dann zeigt der Jahn immerhin jene Sorte Trotz, die man nur entwickeln kann, wenn man lange genug gelitten hat. In der 29. Minute der Ausgleich: Noel Eichinger reagiert am schnellsten, als Havelses Keeper Tom Opitz einen Schuss aus der zweiten Reihe von Adrian Fein vor die falschen Füße abklatschen lässt. 1:1 – dass Eichinger ohne Jubelgeste die Kugel aus den Maschen holt, sagt viel über die Peinlichkeit aus, auch hier wieder erst einmal einen Rückstand geradebiegen zu müssen.
Joker mit Wirkung – Oliveira trifft zum Sieg
Auch in der zweiten Hälfte klebt der Ball zäh wie Novembernebel an den Fußballschuhen – aber immerhin reißt Regensburg das Spiel jetzt an sich. Als Sebastian Stolze nach 66 Minuten über rechts durchbricht und den Ball scharf in die Mitte zieht, rauscht Nicolas Oliveira heran, wo sonst nur Verzweiflung wohnt, und drückt am zweiten Pfosten das Leder zum 2:1 über die Linie.
„Super Gefühl – und dann auch noch auswärts“, sagt der Torschütze. „Wir wollten den zweiten Pfosten belaufen, Stolle geht durch, ich bin da – bisschen Glück, dass er durchkommt, aber das nehmen wir gerne.“
Was folgt, ist kollektives Zittern. Fouls, Proteste, lange Bälle, Gelbe Karten – das ganze Repertoire einer Liga, die keine Gefangenen macht. Havelse wirft alles nach vorn, fordert rund um den Strafraum mehr als einmal vergeblich einen Freistoß aus bester Position – und einen Schiedsrichter, der an diesem Abend wohl lieber nicht der Grinch für Regensburg sein will. „Im Zweifel für den Jahn“, kommentiert TSV-Trainer Samir Ferchichi trocken. Man kann ihm da schwerlich widersprechen.
Ende eines Fluchs
Und doch: Die Erleichterung nach 98 Minuten nährt die Hoffnung, dass das mehr sein könnte als der erste Auswärtssieg seit April 2024, der erste Sieg in der Fremde unter Wimmer – der erste kleine Schritt aus der Selbstzweifel-Spirale, vielleicht der Brustlöser, der zurück in die Erfolgsspur führen kann. Und schließlich: Für Wimmer und die meisten neuen Spieler ist der Fluch ohnehin nur Legende. Sie selbst haben die Durststrecke der Regensburger ja allenfalls aus der Ferne beobachtet.
„April 2024, da war ich in Wien“, sagt Wimmer. „Dass es so lange dauert, hätte keiner gedacht. Aber irgendwann setzt sich das fest im Kopf – heute haben wir das Ding endlich abgeschüttelt.“ Am Ende jubeln sie wie Befreite – wissend, dass sie kaum glanzvoll, aber eben gnadenlos effizient waren. Und dass man im Abstiegskampf keine Schönheitspunkte bekommt.
Stimmen zum Spiel
Michael Wimmer (Trainer Jahn Regensburg): „Wenn man nach zehn Spielen acht Punkte hat, ist klar, dass es Abstiegskampf pur ist. Fußball war auf diesem Boden kaum möglich, heute ging’s ums Kämpfen. Und das hat die Mannschaft getan. Wir wollten mehr über die Flügel, mehr Speed – das hat funktioniert. Die Diskussionen um den Trainer sind legitim, aber solche Siege helfen, dass man durchatmen kann.“
Nicolas Oliveira (Torschütze Jahn): „Das Siegtor zu schießen, fühlt sich super an – und auswärts doppelt. Wir wussten, dass wir den Fluch brechen müssen. Die Fans sind unglaublich, immer da, auch wenn’s weh tut. Jetzt wollen wir gegen Stuttgart nachlegen.“
Samir Ferchichi (Trainer TSV Havelse): „Wir waren über weite Strecken die spielbestimmende Mannschaft, aber es fehlt uns das letzte Quäntchen. Beim 1:1 und 1:2 sind das individuelle Fehler – und dann noch einige Entscheidungen gegen uns rund um den 16er. Trotzdem: Wir entwickeln uns weiter.“
John Xaver Posselt (TSV-Torschütze):
„Das ist bitter. Wir führen, haben das Spiel im Griff, und verlieren es trotzdem. Vielleicht fehlt uns Erfahrung, aber irgendwann müssen wir Punkte holen.“






